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Home 2017-10-05T10:51:26+00:00

Luft, Wasser, Stahl, Volumen.

Anmerkungen zu den Arbeiten von Thomas Kühnapfel
von Prof. Harald Kunde, Direktor Museum Kurhaus Kleve

Der Bildhauer Thomas Kühnapfel (*1966) arbeitet seit Mitte der 1990er Jahre an Skulpturen, die ihre Entstehung kalkulierten physikalischen Kräften verdanken. Mit Hilfe von Luft und Wasser setzt er dabei Materialien vom Blech bis hin zum Edelstahl unter enormen Druck und bildet so Volumen aus, die oft wie schwebende Kissen wirken und doch ihre körperliche Schwere nicht verloren haben. Im Gegensatz zu den tradierten Verfahren der Bildhauerei, dem Herausschlagen einer Form aus dem Block oder dem Bilden einer Gestalt durch das Modellieren von Ton, erzeugt er auf bisher nicht für möglich gehaltene Weise einen begrenzten Raum von innen heraus durch den sichtbar gemachten Widerstand des jeweiligen Materials. Das bedeutet auch, dass bei ihm der Prozess der Entstehung ebenso wichtig ist wie das letztendliche Resultat, weshalb manche seiner Skulpturen, wie etwa 2014 im Innenhof des Museums Kurhaus Kleve, quasi als öffentliche Performance ausgeführt werden und den Teilnehmenden einen unvergesslichen Eindruck von der elementaren Kraft des Einwirkens von Druckluft auf den sich wölbenden Stahl vermittelt haben. Das dabei wirkende Wechselspiel zwischen präziser Steuerung und herbeigeführtem Zufall widerspiegelt Kühnapfels grundsätzliche Überzeugung eines organischen Umgangs mit dem Material und also mit der Welt: wenn die eingesetzte Kraft der Materie entspricht, besteht die Chance auf eine in sich legitimierte notwendige Form.

Das 2017 für den Skulpturenpark Waldfrieden geschaffene Paar mit dem Titel Big Animal bildet einen vorläufigen Höhepunkt dieser skulpturalen Auffassung und zieht die Summe der Erfahrung aus aufwendigsten Arbeitsprozessen. Die bewusst tierhafte Anmutung des Doppelwesens mag auf den ersten Blick als Reminiszenz an den Wohn- und Arbeitsort des Künstlers im niederrheinischen Rees erscheinen, auf dessen Wiesen und Weiden stets beruhigende Rinderherden lagern. Durch die spiegelnde Perfektion der Oberflächen aber erweitert sich die Wahrnehmung sehr schnell über den naturnahen Rahmen hinaus und konstituiert eine autonome Skulptur, die sich selbst und ihre Umgebung permanent reflektiert. Das Verhältnis der biomorphen Volumen zum Gerüst der Kanten und zu den Binnenräumen der Durchbrüche ist ausgewogen und vermittelt ein großes Maß innerer Stabilität. Der drei Millimeter starke polierte Edelstahl lässt die Energien ahnen, denen er im Prozess seiner Ausformung durch Wasserdruck von 200 Bar ausgesetzt war und für die es nun eine sicht- und tastbare Gestalt gibt. Restlos erklären lässt sich deren Faszination ohnehin nicht; vielleicht ist es ein Gefühl körperlicher Verbundenheit, das sich zu diesen spiegelnden Riesen einstellt und das ihnen den Reiz atmender Wesen verleiht. Ganz sicher aber lässt sich ihre Behauptung im Raum benennen: diese Skulpturengruppe von Thomas Kühnapfel bezeichnet eine markante Kontur in der Landschaft und spiegelt zugleich die Unendlichkeit alles Anderen.

„Die Verbindung von Stahl und Luft”

von Eugen Blume, 2014,
Leiter Nationalgalerie Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin

Der Stahlbildhauer Thomas Kühnapfel hat bei Tony Cragg studiert und verdankt seine Materialsicherheit seinem Lehrer, der in den unterschiedlichen Feldern der Bildhauerei zuhause ist. Kühnapfel hat jedoch etwas in die Skulptur eingeführt, was bisher als ganz unmöglich galt, die Verbindung von Stahl und Luft. Natürlich gibt es Stahlskulpturen, die sich im Wind drehen wie bei George Richey, aber dass die Gestalt einer schwergewichtigen Skulptur durch eingepresste Luft entsteht, ist ein bisher ungehörtes Ereignis.

Das Ereignis selbst – was in der fertigen Skulptur kaum nachvollziehbar ist – wirkt als eine grandiose Performance ungestümer physikalischer Kräfte. Die von Kühnapfel verschweißten Platten werden unter Druck wie Ballons aufgeblasen, nur ist der Widerstand des Materials ein anderer als die dünne Gummihaut herkömmlicher Luftballons, allein der Klang dieses eruptiven Events berichtet von den Gewalten, die hier auf ungewöhnliche Weise wirken. Die aus dieser Technik entstandenen Skulpturen hinterlassen bei dem Betrachter den Eindruck leichter, gefüllter Kissen, die jederzeit auffliegen können. Ihre Weichheit allerdings scheint dem Material zu widersprechen, das Auge sucht vergeblich nach der Lösung dieser eleganten Täuschung.

Natürlich verändert sich das Material nicht, allein die tatsächlich durch Pressluft entstandene Form suggeriert Leichtigkeit, wo Schwere noch immer die Skulptur konstituiert. Die auf Sockeln aufgelagerten oder nur ins Gras gelegten Stahlkissen wirken besonders im Freien, in der gepflegten Landschaft eines Parks wie poetische Zeichen, die vielleicht sogar an Manets berühmtes Frühstück im Freien erinnern mögen, zumindest an einen Spaziergang oder aber an hochfliegende Träume eines Sommertags. Kühnapfel Skulpturen entziehen sich der ausbalancierten Schwere etwa von Richard Serras monumentalen Werken, die kaum etwas neben sich dulden. Die „Luftkissen“ Kühnapfel sind ein erstaunlich filigraner Beitrag zur Geschichte der Stahlskulptur. Sie öffnen überraschend ein neues Terrain, was diesem Material kaum abzugewinnen war. Seine Figuren scheinen zu fliegen und sich der Schwerkraft auf eine zauberhafte Weise zu entziehen.